Venedig Stadt der Reformation
Jun 1, 2017Druckerei, Geschichte, Gesellschaft, Kultur, Literatur, Religion0 Kommentare
Im Luther-Jahr wurde Venedig offiziell zur „Reformationsstadt Europas“ ernannt. Welche Rolle spielte Venedig in der Reformationsgeschichte? Was verbindet Venedig mit Wien, Tallinn, Genf, Berlin, Prag und Straßburg?
In der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts glaubten viele Reformer, daß die Republik eine gewisse Freiheit des Glaubens gewährleisten würde. Solche Hoffnungen waren indes gewagt und zu ihrer Zeit voraus.
Die Serenissima hatte in der Tat eine gewisse antiklerikale Einstellung gegenüber Rom, vor allem, um ihre internationalen Handelsgeschäfte zu schützen, aber sie war ohne Zweifel eine katholische Republik, kämpfte in erster Reihe gegen das Osmanische Reich und verstand sich als ein Bollwerk des Christentums gegenüber dem Islam.
In den ersten Jahrzehnten der Reformation zeigte die Republik nur ein begrenztes Interesse, den Anforderungen von Rom, gefährliche Prediger zu verfolgen und das Lesen bestimmter Bücher zu verbieten, Folge zu leisten. Gerade darin lag allerdings ein gehöriges Maß Sprengkraft. Zum ersten mal sprachen Handwerker, Adlige, einfache Arbeiter, Ärzte, Lehrer oder Juristen auf offener Straße frei über Religionsfragen. Informationen waren leicht zu bekommen, deckte der Literaturmarkt Venedigs doch jedwede Begehrlichkeit ab; selbst lutherische Schriften waren zu bekommen.
Die Druckindustrie, damals die größte Europas, produzierte Bücher und Übersetzungen zu günstigen Preisen. Im Jahre 1530 veröffentlichte der Florentiner Brucioli das Neue Testament in toskanischer Sprache; zwei Jahre später folgte die ganze Bibel. Es war ein voller Erfolg. Die Menschen versammelten sich, um Texte gemeinsam zu rezitieren und zu diskutieren; Analphabeten suchte Freunde, die ihnen vorlasen und wurden wiederum zum Lernen ermutigt.
Die deutschen Kaufleute im Fondaco dei Tedeschi brachten aus ihrer Heimat Bücher und Neuigkeiten über die Reform aus erster Hand mit, und trugen so dazu bei, die neuen Ideen schnell zu verbreiten.
Die römische Kurie war besorgt: Wenn die Menschen, einschließlich der Unwissenden und Idioten, nicht mehr der Vermittlung eines Priesters zur Auslegung der heiligen Schrift bedürfen, was würde dann mit der kirchlichen Hierarchie passieren? Die päpstlichen Nuntien waren bestürzt, sie nannten die Lesegruppen verächtlich Conventikeln. Trotzdem trug ihr Druck auf die venezianische Regierung nur bescheidene Früchte: einige Verhaftungen und 1527 die Verbrennung lutherischer Schriften am Rialto. Erst Zwanzig Jahre später folgten jene in San Marco und wiederum am Rialto, wo zusammen mit reformistischen Texten auch jüdische Schriften – einschließlich des Talmud – verbrannt wurden.
Im Jahre 1547 kam der Wendepunkt. Die Niederlage der skalmadischen Liga protestantischer Fürsten gegen Karl V. in Mühlberg überzeugte die Republik auf der Seite Roms zu bleiben. Die neu eingerichtete Inquisition in Zusammenarbeit mit einer Regierungskommission, den sogen. drei Weisen über die Häresie“, begann der Ketzerei effizienter zu verfolgen. Zwischen Mitte des 16. Jahrhunderts und dem frühen 17. Jahrhundert fanden mindestens 843 Prozesse wegen Heterodoxie statt. Sie betrafen Tausende von Menschen: Angeklagte, Zeugen und Informanten. Zwischen 20 bis 25 Personen wurden zum Tod durch Ertrinken verurteilt; manche starben im Kerker oder auf einer Galere oder sie wurden der römischen Inquisition ausgeliefert.
Die Republik jedoch, in fast mütterlicher Toleranz, bot nur einmal, und zwar das erste Mal, Angeklagten die Möglichkeit zum Widerruf. Für Wiederholungstäter gab es kein Pardon. Die venezianische Inquisition, trotz milderer Methoden als in anderen Ländern, arbeitete sehr effektiv. Innerhalb fünfzig Jahre wurden die Conventikeln beseitigt so wie alle Formen des Proselytismus.
Man duldete lediglich die Aktivitäten ausländischer Kaufleute in der Stadt, unter der Bedingung, dass sie ihren Gottesdienst mit äußerster Diskretion feiern mussten. Ausländische Gemeinschaften, wie Juden, orthodoxe Griechen und Muslime durften ihren Glauben bewahren. Wer sich zu einer reformierten Konfession bekannte, der musste dies im Privaten tun. Gegen die katholische Orthodoxie half nur ein Glaube im Untergrund.
Einige Orte, an denen diese mutige Gespräche, Predigen und Versammlungen stattfanden, kann man noch heute besuchen: der Fondaco der deutschen Kaufleute; die Mercerie, wo die meisten Druckereien und Buchgeschäfte lagen; Campo Santo Stefano, auf dem 1520 die erste lutherische Predigt gegen die römische Korruption stattfand; der Markt von Rialto, wo viel und gerne über die Reformation gesprochen wurde. Letzteres vor allem in der Ruga degli Oresi, dem Laubengang am Rialto, denn vor allem die dort ansässigen Goldschmiede hatten gemeinsam mit den Druckern eine gewisse Neigung zum Protestantismus.
Cristina Gregorin
BestVeniceGuides
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