Die Festa della Salute
Das beliebteste und am tiefsten empfundene Fest in Venedig ist sicherlich die Festa della Salute. Für die Venezianer ist der 21. November der Tag, an dem man nicht fehlen darf, an dem sie sich nach der Tourismussaison gewissermaßen die Stadt zurücknehmen. Es handelt sich um eine Feier, die, anders als die Feier des Redentore, des Erlösers, nicht viele Touristen anlockt, auch weil sie im November liegt, wenn die Stadt oft in Nebel und Kälte gefangen ist. Es kann regnen, ein starker Wind pfeifen oder Hochwasser herrschen. Aber zur Salute geht man hin. Es ist eine richtige Massen-Pilgerwanderung.
Manche überschreiten die Gedenkbrücke, die vom Campo Santa Maria del Giglio zur Calle neben dem antiken Kloster San Gregorio und dann zur Madonna della Salute führt, andere gehen über den Stadtteil Dorsoduro. Die Messe findet fortlaufend, ohne Unterbrechungen, statt, damit alle daran teilnehmen können. Die Kirche und die Calli sind voller Menschen. Es werden Kerzen gekauft, schwere oder auch leichtere Kerzen, teurere oder weniger teure, aber auch Zuckerwatte, frittierte Süßigkeiten oder Mandelkrokant.
Das schönste Schauspiel aber sind die in der Kirche angezündeten Kerzen und die jungen Leute aus der Pfarrgemeinde, die hin und her laufen, um die Kerzen einzusammeln und um sie für die anderen anzuzünden. Die zahlreichen Kerzen leuchten hoch oben in der Kirche und es herrscht Durcheinander. Ich erinnere mich noch daran, wie ich meine neunzigjährige Großmutter begleitete, die mit ihrem blauen Wintermantel und ihrem Pelzkragen zwischen all den Leuten winzig klein in der Menge verschwand. Ich hatte das Gefühl, sie beschützen zu müssen!
An die Anlegestelle der Punta della Dogana, neben der Kirche, wird bald das antike venezianische Schiff Nuovo Trionfo zurückkehren, ein Trabakel, das während der Festa della Salute zu einer Küche im Freien wird, wo man die typische castradina kosten kann, eine heiße Suppe mit Hammelfleisch und Wirsing.
Das Fest gedenkt dem letzten Ausbruch der Pest in Venedig. Im Jahr 1630 kam eine Delegation des Herzogtums Mantua nach Venedig und die Pest verbreitete sich trotz der Isolierung auf der Insel San Clemente. Die Seuchengesetze zur Abriegelung funktionierten in Venedig gut: zwischen 1423 und 1468 begann Venedig damit, die Inseln Lazzaretto Vecchio und Nuovo zur Isolierung der mit der Pest infizierten Menschen und zur Quarantäne zu nutzen, aber es scheint, dass die Pest über einen Tischler, der auf die Insel gefahren war, um die Wohnungen der Kranken zu richten, auch die Stadt erreicht hat. Es gab zehntausende von Opfern – zwar weniger als in der Lombardei, aber dennoch handelte es sich um ein Drittel der Bevölkerung. Und hierher rührte die Entscheidung des Senats im Jahr 1630, der Heiligen Jungfrau einen Tempel zu errichten.
Die Kirche Santa Maria della Salute war ein höchst innovatives Projekt, ohne langes Kirchenschiff. Baldassarre Longhena schuf einen achteckigen Bau, einen Treppenaufgang mit sechzehn Stufen, sechs Altäre. Zwei Kirchtürme und zwei Kuppeln: auf der kleineren Kuppel befindet sich die Statue des Hl. Markus, und auf der größeren steht die Jungfrau Maria, die den Kampf gegen die Pest gewonnen hat, fast wie ein Admiral. Die marianische Zahl acht bestimmt den Bau und die Ausstattung der Kirche. Wohlstand, ein Neubeginn, die Wiedergeburt. Es ist fast wie ein gigantisches Taufbecken und eine große Krone für Maria. Im Inneren befinden sich Altäre mit Geschichten aus dem Leben Marias und eine Sakristei mit Werken von Tizian und Tintoretto. Der Hauptaltar des Flamen Giusto Le Court mit drei Frauen: eine kniende, betende Venezia, Maria, die das Gebet erhört und eine alte Hexe, die Pest, die von einem Putto mit seiner brennenden Fackel verjagt wird. Im Zentrum befindet sich eine byzantinische Ikone, die Madonna Mesopanditissa, die im Jahr 1670 aus Kreta gebracht wurde. Und schließlich der berühmte Boden mit den fünf Rosen in der Mitte, um welche herum die Schrift steht: “unde origo, inde salus” – wo Venedig seinen Ursprung hatte, daher kam Gesundheit und Rettung.
Die beeindruckensten Worte hat aber vielleicht ein serbischer Dichter, Laza Kostić, gesprochen, als er gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts in seinen herzzerreißenden Versen den Tod einer jungen Frau, in die er verliebt war, beschreibt und das Opfer seines Landes für den Bau der Kirche Santa Maria della Salute: manche sprechen von einer Million Bäume, andere von „nur” 110,700 Bäumen, was realistischer ist, die von den Venezianern gefällt wurden, um das Gewicht der Kirche zu tragen.
Luisella Romeo
BestVeniceGuides
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