Die Unbeschuhten Karmeliten in Venedig und ihre Kirche
Wetten wir? Dass es in Venedig noch einen Ort des Friedens und der Ruhe gibt? Unglaublich, wenige Schritte vom Bahnhof entfernt und inmitten des Ankunftschaos des Bahnhofs bieten die Unbeschuhten Karmeliten in ihrer Kirche und ihrem Nutz- und Ziergarten eine “klangvolle” Stille und eine unvorstellbare und unerwartete Schönheit.
DIE UNBESCHUHTEN KARMELITEN IN VENEDIG UND IHRE KIRCHE
Eine Gruppe Unbeschuhter Karmeliten siedelte sich im 17. Jh. auch in Venedig an. Die Unbeschuhten stellten einen neuen Zweig des Hauptordens der Karmeliten dar, der von der Heiligen Teresa, die 1515 in Avila geboren wurde, gegründet und von Johannes vom Kreuz (beide 16. Jh.) unterstützt wurde.
Ursprünglich lebten diese im 12. Jh. n. Chr. als Einsiedler im damaligen Palestina; sie kamen gegen Jahrhundertende nach Europa und nahmen die Form eines Bettelordens an. Auf diese Weise konzentrierten sie sich nicht mehr nur auf sich selbst, sondern setzten sich auch für andere ein – dies, um von Kirche und Papst akzeptiert zu werden.
Die Karmeliteneinsiedler lebten auf dem Berg Karmel, wo der Prophet Elias, der auch Einsiedler war, lange vor ihnen gelebt hatte (9. Jh. v. Chr.); der Berg wurde, laut der Legende, auch von Maria, der Mutter Jesu, besucht.
Maria wurde so sehr von den Karmeliten verehrt, dass sie ihr ein erstes Kirchlein auf dem Berg Karmel weihten. Sie stieg bereits als Mädchen mit ihren Eltern auf jenen Berg, der sich unweit von Nazareth befand, um dessen Schönheit zu bewundern.
Das jüdische Wort Karmel bedeutet in der Tat Garten und wurde von den heiligen Schriftstellern im übertragenen Sinne verwendet, um paradiesische Orte, die reich an Wasser und Pflanzen waren, zu kennzeichnen. Dies trifft noch heute auf den Berg Karmel zu.
Nach ihrer Ankunft in Venedig (1633) und nachdem die Brüder an unterschiedlichen Stellen der Stadt gelebt hatten, schafften sie es mit der Hilfe einiger lokaler Familien, den Grund der aktuellen Kirche – die nicht zufällig Maria von Nazareth gewidmet ist – und des Gartens zu erwerben. Das Gebiet war ursprünglich sehr viel größer, da der heutige Garten durch den Bau des Bahnhofs ca. in der Mitte des 19. Jhs. fast halbiert wurde.
Die “neuen” wohlhabenden Familien, die sich – aus Gründen der Arbeit – im damals periphären Stadtbereich der neuen Besitztümer des Ordens angesiedelt hatten, standen der neuen Sensibilität, dem neuen Glaubensbekenntnis und der neuen karmelitischen Glaubensbotschaft nahe.
Es waren also von Anfang an nicht die alt eingesessenen, sehr bekannten adligen Familien, sondern Familien mit Namen wie Mora, Cavazza Lion, Tasca, Flangini, Gussoni oder die Familie Lumaga etc. Nicht alle wurden im Laufe des 17. Jhs. Teil des venezianischen Patriziats. Sie kamen aus Vicenza, Bergamo, Zypern, aus dem Veltlin oder woandersher und einige von ihnen sollten, dank ihres Mäzenatentums, im Innern der Kirche begraben werden.
Durch die Vermittlung zahlreicher venezianischer adliger Frauen, die der Sensibilität und der Botschaft von Teresa (auch Teresa von Jesus genannt) nahestanden, gesellten sich auch sehr wohlhabende, alt eingesessene adlige Patrizierfamilien. Die Familien Badoer, Venier, Contarini, Valier etc., haben sich den neureichen Familien angeschlossen. Sie waren oft als Diplomaten an die großen Höfe Spaniens, Frankreichs oder des Kirchenstaats gebunden, und somit über konkrete und aktuelle Kenntnisse der Glaubenslehren der Unbeschuhten und über ihre mystische Botschaft informiert. Eine neue religiöse Sensibilität, soziale Veränderung und vieles mehr war entstanden.
Die Kirche der Scalzi (der Unbeschuhten), eine der prachtvollsten der ganzen Stadt, zeigt die – bewusst zur Schau gestellte – Gegenwart all dieser Familien und zwar in der Pracht der zahlreichen unterschiedlichen Marmorarten, welche eine unglaubliche Schönheit in die Steine selbst und in die künstlerische Schöpfung einbettet. (Foto 1, Foto 2 und Foto 3).

Foto 1 Antependium des Carmine-Altars oder Altar der Heiligen Familie

Foto 2 Gewölbe der Kapelle des Hl. Sebastian mit dem Kontrast zwischen weißem Carrara-Marmor, rotem Rosso Francia, grünem Verde Genova und schwarzem Nero Belgio

Foto 3 linke Seite des Chors mit Sibylle aus Carrara-Marmor und Rosso Francia an den Wänden
Entlang des gesamten Kirchenschiffes befindet sich unter den meistverwendeten Marmorarten die Brekzie von Seravezza (Lucca), wie auch der wunderschöne Rosso Francia (Foto 4 und Foto 5).

Foto 4 Lisenen und Marmorplatten des Kirchenschiffes aus Ser(r)avezza-Marmor aus Lucca

Foto 5 Spiralsäulen des Hochaltars, alle mit Rosso Francia (=Languedoc) verkleidet
Darauf folgt der kostbare schwarze Nero Belgio in zwei von Longhena entworfenen Kapellen (Foto 6 und Foto 7) und der grüne Verde Antico aus Genua, der grüne Verde Antico aus Thessalien, die Gelbe Brekzie aus unseren Trienter Bergen (Foto 8), der Graue Bardiglio und viele andere, gekrönt vom weißen Carrara-Marmor.

Foto 6 Kapelle des Hl. Sebastian, gestiftet von Familie Venier, aus schwarzem Nero Belgio und weissem Carrara-Marmor

Foto 7 Kapelle des Johannes des Täufers, von Familie Mora finanziert, deren Familienoberhaupt unter dem Altar begraben ist; rigoros, feierlich und ziemlich spartanisch für die Barockzeit; auch sie wie die vorhergehende aus Nero Belgio und weißem Carrara-Marmor

Foto 8 die gelbe Einrahmung des Brentonico-Marmors aus den Trienter Bergen und aus grünem Verde Antico aus Thessalien umgibt den Erzengel Gabriel von Torretti; unter dem Gesims die Widmung an Manin, den letzten Dogen Venedigs, der in der Kapelle begraben liegt
Natürlich nehmen beide Gründerheilige dieses Ordenszweigs in der Ausschmückung eine privilegierte Stellung ein, die Hl. Teresa – eine bedeutende Mystikerin – (Foto 9) und der Hl. Johannes vom Kreuz (Foto 10).

Foto 9 Altar mit der Verzückung der Hl. Teresa von Merengo (Meyring); die monolithischen Säulen sind aus rotem Rosso Francia; das Engelchen unten erinnert mit einer Schrift an den Frömmigkeitstribut der adligen venezianischen Matronen der Kongregation, die in derselben Kapelle begraben sind

Foto 10 Statue des Hl. Johannes vom Kreuz aus Carrara-Marmor, auf dem noch der jahrhundertealte Staub liegt; die Rückwand der Nische besteht aus Jaspis, einer sehr kostbaren Marmorart; Detail der ihm geweihten Kapelle
Gerade in der Teresa geweihten Kapelle zeigt sich die Bravour unserer venezianischen Meister des 17. und 18. Jhs., unter denen sich der bedeutende Tiepolo befindet (Foto 11 und Foto 12).

Foto 11 Ausschnitt des Fresko-Gewölbes in der Kapelle der Hl. Teresa, in einem Karmelitengewand dargestellt (braune Tunika, weisse Kaputze und schwarzer Schleier). Es ist interessant, dass Teresa nach unten in Richtung der Gläubigen schaut und nicht nach oben, wie es normalerweise auf den Glorifizierungen der Heiligen abgebildet wird

Foto 12 Marmor-Einlegearbeit des Altarantependiums mit der schreibenden Teresa (die danach zur Kirchenlehrerin ernannt werden sollte)
Tiepolo hat in der Kruzifix-Kapelle die Passions-Symbole ins Fresko eingeschlossen, die bei hellem Sonnenschein gut erkennbar sind (Foto 13 und Foto 14).

Foto 13 Tiepolo-Engel mit der Dornenkrone und dem roten Umhang Jesu, Detail des Freskos in der Kruzifix-Kapelle

Foto 14 weiteres Detail des Tiepolo-Freskos; unten Engelchen mit Zange, oben Engelchen mit Schwamm und Peitsche, links Engelchen mit dem Schwert des Centurio, oben rechts das Schweißtuch
Auch die weniger bekannten Meister sind großartig: die Engel der Brüder Domenico und Giuseppe Valeriani, die nicht nur im vorderen Chorraum (Foto 15), sondern auch im Chor direkt hinter dem Hochaltar (Foto 16 und Foto 17) gewirkt haben, nehmen unsere Aufmerksamkeit gefangen. Zur Kontemplation der Karmeliten Brüder können wir im Chor die Visionen des Paradieses, der Dreieinigkeit und der Tugenden sehen, dieselben, die in der gesamten Kirche dargestellt sind.

Foto 15 Chorkuppel mit Engeln von den Brüdern Valeriani, Fresko

Foto 16 Chorabsis der Brüder: Aufstieg der Engel zwischen Wolken zur Dreieinigkeit, weiteres Fresko der Brüder Valeriani

Foto 17 Gottvater im Nimbus; auch die Absiskalotte des Chors ist von den Brüdern Valeriani mit Fresken ausgestattet
In der Kirche werden offensichtlich die Themen behandelt, die für die Hl. Teresa wichtig waren und die zum Gegenstand der Frömmigkeit der Gläubigen wurden, wie beispielsweise die Zentralität der Menschlichkeit Christi und seines Leidens, wie man auf den Fresken Tiepolos sehen kann oder die evangelischen Tugenden und die Gegenwart der Engel (Foto 18). Außer in den zahlreichen Skulpturen, Gemälden oder Fresken tritt die Genialität dieser Heiligen konkret in der großen Bedeutung zutage, die der Natur beigemessen wird.

Foto 18 Gewölbe der Heiligen Familie, von Dorigny mit Fresko ausgestattet, das Engel, die dem Heiligen Geist lobsingen, darstellt
Die Hl. Teresa setzt den Augenmerk auf die Beziehung zwischen Gebet und Leben und somit auf das Leben als Gebet. Infolgedessen gilt auch die Landarbeit als Gebet.
Was für andere religiöse Orden die Kreuzgänge bedeuteten, die im Mittelalter und über die Jahrhunderte hinweg das irdische Paradies symbolisierten, war für Teresa ein Stück Natur, ein schöner Garten oder ein schöner Ausblick (in unserem Fall ein schöner Garten, der in der Vergangenheit auch eine – heute nicht mehr existierende – schöne Aussicht auf die Lagune besaß).
Seit Beginn ihrer Ansiedelung an dem Ort, der noch heute von ihnen bewohnt wird, haben die Unbeschuhten somit einen schönen Garten besessen, der heute ein kostbares Unicum in meiner Stadt ist. Und dies in mehrerer Hinsicht: vor allen Dingen handelt es sich um einen Garten der Unbeschuhten Karmeliten, der eben deshalb die traditionell für Teresa von Jesus stehende große Hochachtung für die Natur aufzeigt; darüber hinaus stellt es ein Unicum wegen der Vielfalt der gedeihenden Heilpflanzen dar, die leider nunmehr eher selten in anderen venezianischen Klöstergärten vorkommen; aber jenseits davon stellt er auch ein Unicum bezüglich seines Entwurfs, der Symbolkraft, der Allegorie und der “Mystik” dar.
Ein Garten, den es aufgrund seines außerordentlichen Reichtums in jedem seiner Aspekte zu entdecken lohnt. Aber dies wird im zweiten Teil dieses Posts behandelt.
Also bis bald!
loredana giacomini
BestVeniceGuides
loredanagiacomini@gmail.com