Biennale in Venedig

1895. Venedig befand sich in einer bedrückenden Wirtschaftskrise. So beschlossen der Bürgermeister Riccardo Selvatico und eine Gruppe venezianischer Künstler in der Zeit der großen Weltausstellungen in Venedig etwas Vergleichbares, also eine große Ausstellung, zu organisieren, deren Thema die Kunst, und zwar die zeitgenössische Kunst, sein sollte. Damit wählte eine Ausstellungskomitee, das von venezianischen Künstlern dominiert und weder staatlich initiiiert noch vom Kunsthandel oder kommerziellen Händlern organisiert wurde, die Künstler aus, die auf der Esposizione, wie die Ausstellung bis in die 20er Jahre des 20. Jahrhunderts genannt wurde, zu sehen waren. 285 Künstler, von denen 156 Ausländer waren, wurden von nationalen Komitees, die nach Venedig berufen worden waren, ausgewählt. 14 Länder waren von den Venezianern eingeladen worden: die wichtigsten gerade entstandenen Nationalstaaten – Belgien, Frankreich, Deutschland, Großbritannien, Niederlande, Dänemark, Norwegen, Schweden, Russland, Österreich-Ungarn, Spanien, Italien – sowie Russland und die Vereinigten Staaten.

Und so öffnete am 30. April 1895 die „Prima Esposizione Internazionale d´Arte della Città di Venezia“ („Erste internationale Kunstausstellung der Stadt Venedig“) ihre Tore. Und sie sollte ein Riesenerfolg werden: in knapp 6 Monaten besuchten exakt 224 327 Besucher die Ausstellung. Von Anfang an mussten die im Schnitt ca. 2500 täglichen Besucher lange Schlange stehen, bis sie in dem neuen, eigens für diesen Anlass errichteten Ausstellungspavillon in den Gärten Venedigs die Werke von 285 europäischen und außereuropäischen Künstlern sehen konnten – nie zuvor wurde so lange für den Besuch einer Ausstellung zur zeitgenössischen Kunst in Europa gewartet.
Natürlich gab es einen ganz besonderen Grund, warum in einer Zeit, in der es noch kein Auto, kein Flugzeug gab – einziges modernes Transportmittel war die Eisenbahn – sich Tausende auf den Weg machten: sie alle wollten Giacomo Grossos (35) „Il supremo convegno“ („die höchste Zusammenkunft“) sehen, ein großformatiges Bild, das sechs Jugendliche, fünf junge Frauen und einen junger Mann, aus der reichen Turiner Oberschicht beim Liebesspiel zeigte. Der Junge stirbt.

Giacomo Grosso, Supremo Convegno, 1895

Das Bild war sofort ein Eklat: Dekadenz und Doppelmoral des reichen Bürgertums wurden angeprangert. Über dieses Bild sprach nicht nur das Bildungsbürgertum, sondern auch die Massenmedien. Die Kombination von Sensationslust und Tabuthemen machten das Bild hochgradig explosiv. Venedigs Patriarch Giuseppe Sarto (späterer Papst Pius X) befürchtete einen Angriff auf die Keuschheit und versuchte vergeblich, den Bürgermeister und ersten Präsidenten der Biennale zu überzeugen, das Bild aus der Ausstellung zu nehmen.

Schon bei der ersten Esposizione konnten die Bilder gekauft werden. Il supreme convegno wurde von Venice Art und Co. gekauft und auf eine weltweite Ausstellungstournee geschickt: jedoch noch vor der ersten Ausstellung wurde das Bild in einem Kaufhausbrand in den USA zerstört, ein Brand, der nie geklärt wurde.

 

1907, bei der mitterweile 7. Esposizione, erhielten die Belgier von der Stadt Venedig die Erlaubnis, da der Raum im Ausstellungspavillon tatsächlich begrenzt war, sich einen eigenen Ausstellungsbau nach den Entwürfen des von ihnen ausgewählten belgischen Architekten León Sneyers zu errichten. Der Bau wurde von der Kommune finanziert und ging 1908 in den Besitz des belgischen Königreiches über: der erste Länderpavillon mit exterritorialem Status war entstanden. Ferner durften die Belgier unabhängig vom Ausstellungskomitee der Esposizione bestimmen, welche Künstler eingeladen wurden. So lag schon 1907 die gleiche Ausstellungsstruktur vor wie heute. Der jüngste Ausstellungspavillon ist der von Südkorea, der 1995 errichtet wurde. Heute stehen in den Giardini 29 Länderpavillons.

Cody Choi, Länderpavillon Korea, Außeninstallation, Biennale 2017

Von 1895 bis 1930 war die Ausstellung, die mittlerweile, da sie im 2 Jahres Rhythmus organisiert wurde, die Biennale genannte wurde, eine kulturelle Sozietät, von 1930 bis 1998 ein staatliches Unternehmen,  1998 wurde sie privatisiert und in eine kulturelle Stiftung umgewandelt und seit 2004 ist sie ein Stiftung.

Zur Kunstbiennale gesellten sich 1930 die Musikbiennale, 1932 die Filmfestspiele, 1934 die Biennale des Theaters, 1980 die Architekturbiennale und 1999 die Tanzbiennale. 

Susanne Kunz-Saponaro
BestVeniceGuides
www.stadtfuehrungen-venedig.de/biennale.htm
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