Die Unbeschuhten Karmeliten in Venedig und ihr Garten
Wetten wir? Dass es in Venedig noch einen Ort des Friedens und der Ruhe gibt? Unglaublich, wenige Schritte vom Bahnhof entfernt und inmitten des Ankunftschaos des Bahnhofs bieten die UNBESCHUHTEN Karmeliten in ihrer Kirche und ihrem Nutz- und Ziergarten eine “klangvolle” Stille und eine unvorstellbare und unerwartete Schönheit.
DIE UNBESCHUHTEN KARMELITEN IN VENEDIG UND IHR GARTEN
Nehmen wir nun unser Gespräch dort wieder auf, wo wir es unterbrochen hatten.(https://bestveniceguides.it/de/2019/03/21/die-unbeschuhten-karmeliten-in-venedig-und-ihre-kirche/).
Der Garten der Unbeschuhten Karmelitenpater wurde vor wenigen Jahren neu gerichtet (2014) und gedeiht ausgesprochen gut; er wird mit Hingebung von den Brüdern gepflegt, geliebt und genutzt und kann auch von interessierten Besuchern besichtigt werden, aber nur mit einer Stadtführerin oder einem Stadtführer (Fotos 1-6).

Foto 1 am Eingang werden wir von einer Chinesischen Hanfpalme oder Fortune-Palme (Trachicarpus Fortunei) empfangen, welche aus Asien stammt, die sich nach dem schottischen Botaniker nennt, dem sie gewidmet wurde

Foto 2 Verlängerung des Garteneingangs

Foto 3 Winteransicht des Gartens; in dieser Jahreszeit wachsen nicht alle Heilpflanzen, deshalb werden einige Beete als Erweiterung des Gemüsegartens benutzt

Foto 4 Gesamtansicht des Gartens mit Schnee

Foto 5 Garten im Sommer mit Zucchinipflanzen im Vordergrund

Foto 6 eine andere Perspektive auf den sommerlichen Garten mit steigender Höhe der Pflanzen in Richtung des Wäldchens
Er wird als “Mystischer Garten” bezeichnet, da jedes Element auf die Predigten der Hl. Teresa verweist. Der Begriff mysticòs, d.h. “mysteriös” bezieht sich auf eine Bewusstseinsschicht, die rational nicht erklärbar ist.
Der Garten ist nach einer Zahlensymbolik aufgebaut, die ich hier nicht beschreibe; dennoch ist es interessant, zu wissen, dass es sieben Felder sind (wer wüsste nicht, dass es sieben Sakramente, sieben Todsünden, sieben Kardinal- und Theologische Tugenden gibt), dass dreizehn Olivenbäume im Garten stehen (Jesus und seine zwölf Apostel), und dass, sobald die Obstbaumwiese vollständig sein wird, dort vierzig Bäume stehen werden, vierzig, wie die Tage, die Moses auf dem Berg Sinai oder Jesus in der Wüste verbracht hat.
Das ERSTE der sieben Felder besteht aus einer GRÜNEN WIESE, Symbol der Gastlichkeit, wie die venezianischen Plätze. In Venedig werden alle Plätze noch heute campo, d.h. Feld, genannt, da sie bis vor wenigen Jahrhunderten eben dies waren (mit der einzigen Ausnahme des Markusplatzes, dessen “Feld” schon früh mit Ziegelsteinen zugepflastert wurde), es waren Orte der Versammlung, des Austauschs und der unterschiedlichen Präsenzen (Foto 7, 8 und 9).

Foto 7 Wiese in Richtung Kloster mit dem schönen Nussbaum links und den Nadelbäumen rechts

Foto 8 eine weitere Ansicht der Wiese rechts hinten; im Vordergrund das Beet mit Pyrethrum-Pflanzen, welche vor allem als Insektizid verwendet werden

Foto 9 Teil der Wiese mit Heilkräuterbeeten und dem Rest des Gartens; es ist interessant, dass die Pflanzenhöhe von der Wiese ausgehend über die Heilpflanzen, den Gemüsegarten, den Weinberg, die Obstwiese und so weiter, in einem Crescendo bis zum Wäldchen ansteigt
Das ZWEITE Feld enthält eine wahre Pracht von HEILKRÄUTERN. Die Körperpflege mit Kräutern, die sich im Laufe der Jahrhunderte speziell in den Klöstern entwickelt hatte, die dem Besuch von Pilgern und Kranken offen standen, (der Hl. Benedikt begann bereits im 6. Jh damit), erfuhr einen großen Impuls gerade in der Zeit der Kreuzfahrten und wurde seither kontinuierlich weitergeführt. Auch durch diese langwährende Tradition waren die Heilkräuter in den Karmelitenklöstern wichtig.
Dieses Feld unterstreicht das alte Wissen der Arzneitradition, welches in der heutigen wiederentdeckten Homöopatie weiterlebt; es ist in neun Beete unterteilt, die durch Bahnschwellen begrenzt sind, um an die Invasion des alten Gartens von Seiten des Bahnhofs zu erinnern.
Jedes Beet bezieht sich auf unterschiedliche Krankheitsbilder, z.B. der Haut (Kalendula und Klette, Foto 10), des Herzens (Herzspannkraut und Sonnenhut, Foto 11 und 12), des Atems (Rhabarber, Foto 13 und 14) etc. Unter den Pflanzen, aus denen man Balsam gewinnen kann, befindet sich auch das Duftveilchen und das Eisenkraut (Foto 15). Am meisten wird jedoch das Beet mit der Moldawischen Melisse beachtet, deren wohltuende Wirkung sich seit Jahrhunderten bewährt hat. Seit ca. dem Jahr 1600 breitete sich in Frankreich, speziell Paris, ein Produkt der Karmelitenbrüder aus Zitronenmelisse aus und seit ca. 1700 in Venedig eines aus Moldawischer Melisse (Foto 16).

Foto 10 Beet mit im Fordergrund Kalendula und Klette: die Kalendula ist eine typische Mittelmeerpflanze, die mit ihrer wundheilenden Kraft Verletzungen gut heilt; auch die Klette wird für Hautprobleme verwendet, um Acne, Dermatitis und Ekzeme zu behandeln; im Hintergrund desselben Beetes eine Malvenart

Foto 11 das Herzspannkraut (Leonurus cardiaca) von dem die Blätter verwendet werden, ist besonders für die Behandlung von Herzrythmusstörungen und Bluthochdruck geeignet

Foto 12 der Sonnenhut besitzt antibakterielle, antivirale und entzündungshemmende Kräfte; er ist deshalb besonders gegen Schnupfen und Erkältungskrankheiten wie Grippe geeignet

Foto 13 der rote Rhabarber, der seinen Namen von den “Barbaren” bekommen hat, die ihn ursprünglich anbauten, wird außer als Abführmittel bei chronischer Verstopfung auch bei einer verminderten Sauerstoffzufuhr zum Herzen verwendet und verringert die Herzschlagfrequenz indem es den Herzrhytmus reguliert; hier verstecken die großen Blätter die roten Stengel

Foto 14 runde Blätter des wilden Rhabarbers

Foto 15 Gartenausschnitt, im Vordergrund links Duftveilchenblätter und rechts roter und violetter Eisenhut; der Name Eisenhut geht auf seine heilende Wirkung bei Verletzungen durch Eisenwaffen im Mittelalter zurück

Foto 16 die wunderbar intensive Farbe der Moldawischen Melisse
Durch die Verbreitung gefälschter Nachahmungen durch andere Kräuterhändler erhielten unsere Karmeliten 1754 das Produktionsprivileg (=Patent) von der Regierung der Republik (von den Provveditori alla Sanità, den für das Gesundheitswesen verantwortlichen Beamten) und seither wird die Melissenproduktion fortgesetzt, obwohl die Brennerei an einen anderen Ort versetzt wurde.
Ein Fläschchen Melissengeist ist in vielen Haushalten Venedigs schnell bei der Hand; meine Großmutter hatte immer eines bei sich und ich selbst folge ihrem Beispiel. Er dient bei Stress, Kopfschmerzen, Verdauungsstörungen, Schlaflosigkeit, Irritation des Kolons, etc.
Das DRITTE Feld ist der wirkliche Garten, der NUTZGARTEN; in der Vergangenheit diente er zum Lebensunterhalt der Brüder, die wie ihre Eremiten-Vorgänger sich fast ausschließlich von Hülsenfrüchten und Gemüse ernährten (dazu kommen die Waldfrüchte, hier auf einem anderen, für sie bestimmten Gartenstück).
Natürlich trägt der Garten im Sommer und im Winter ein unterschiedliches Gesicht (Foto 17, 18 und 19), jedoch mit stets schön anzuschauenden und wohlschmeckenden Produkten; ein Teil von ihnen wird direkt im kleinen Klosterladen verkauft.

Foto 17 einige Produkte des mit Schnee bedeckten Gemüsegartens

Foto 18 Ausschnitt des Gemüsegartens mit Zucchinipflanzen im Vordergrund links und Tomatenpflanzen im Hintergrund rechts

Foto 19 weiterer Ausschnitt des Gemüsegartens
Der Nutzgarten kommt Gottes Forderung nach, die bereits auf den ersten Seiten der Bibel festgehalten ist: die Erde zu schützen, zu bebauen, zu bearbeiten, sie gut instand zu halten und sie nicht sich selbst zu überlassen.
Das VIERTE Feld ist der WEINBERG (Foto 20); schon immer besaß dieser Garten einen Weinberg, jedoch waren die Reben alt, weshalb der Venezianische Weinbauverband, der sich auch für den Schutz der Weinproduktion in den venezianischen Klöstern einsetzt, mit Studien und Finanzmitteln geholfen hat, alles das wiederaufzubauen, was bereits existierte und den Weinberg zu erneuern. Die Reben sind so wichtig, dass sie sich selbst längs der Hauptachsen ausdehnen (Foto 21 und 22).

Foto 20 die schönen Rebzeilen des Weinberges

Foto 21 Trauben längs der linken Achse

Foto 22 Trauben längs der linken Achse, Ausschnitt
Der Malvasia, darunter der seltene Malvasia De Sitges, hat die Oberhand, da er gut auf Sandboden wächst; es gibt jedoch auch andere Rebsorten, z.B. Bianchetta und Manzoni, die Rebunterlage Kober und die Rebsorte Terra promessa (Heiliges Land) darf auch nicht fehlen, da sie Beginn des 20. Jahrhunderts von einem Bruder von genau dort eingeführt wurde.
Die Trauben dieser Reben sind völlig unterschiedlich, sowohl im Aussehen als auch im Geschmack; die Weinbeeren sind mehr oder weniger groß, rund oder oval, nahe beieinander liegend oder weiter auseinander stehend.
Der daraus entstandene Wein, den auch ich gekostet habe, besitzt einen besonderen Geschmack und, wie alle unsere Lagunenweine, ist er anders als alle anderen Weine der Welt. Die Produktion ist absolut begrenzt, aber einige rare Flaschen werden zum Verkauf gestellt, um ihn bekannt zu machen und um ihn kosten zu lassen. In diesem Sinne haben die Brüder zum ersten Mal an Vinitaly 2018 teilgenommen, einer der großen internationalen Weinmessen.
Ich halte mich nun nicht weiter bei der Bedeutung der Reben und Weine auf, die überall in den Evangelien und in der Kirchentradition auftauchen (außerdem: Eucharistie in seinen zwei Formen, Jesus als wahrer Weinstock etc.); ich widme mich lieber einem mir lieben Aspekt, den der Wein symbolisiert: die Abwesenheit der Notwendigkeit, da dieser weder lebenswichtig noch unentbehrlich ist; außer jede Mahlzeit fröhlicher zu gestalten, kann diese Abwesenheit der Notwendigkeit auf alles das ausgedehnt werden, was, ohne lebensnotwendig zu sein, eine bessere Lebensqualität verspricht.
Das FÜNFTE Feld ist die OBSTWIESE (Foto 23 und 24). Ihre Produkte sind nicht nur fürs Überleben wichtig, sondern erinnern auch an die Großzügigkeit der Erde, an die Fortpflanzung. Ähnlich der Reben wurden einige Bäume genau dort belassen, wo sie zuvor standen, andere standen an anderen Orten des Gartens und wurden in dieses Feld umgepflanzt. Weitere junge Bäume wurden hinzugefügt und andere werden noch dazu kommen, so lange bis die geplante Zahl vierzig erreicht sein wird, um z.B. an die vierzig Tage der Sintflut zu erinnern.

Foto 23 Ausblick auf die Obstwiese

Foto 24 weitere Ansicht des Obstgartens mit Birnbaum im Vordergrund
Es handelt sich um in der Region gebräuchliche Obstsorten: Pfirsiche, Nektarinen (Foto 25) oder unterschiedliche Birnenarten, Feigen, Äpfel, auch diese unterschiedlicher Sorte (Foto 26), Pflaumen, darunter die Mirabellen (Foto 27 und 28), Kirschen, Mispeln (Foto 29) etc.

Foto 25 Nektarinen, die so schön sind, dass sie aus lackiertem Porzellan zu bestehen scheinen

Foto 26 einer der Apfelbäume der Obstwiese

Foto 27 Pflaumenast oder wilde Pflaume, die nach dem Umsturz neue Wurzeln getrieben hat, um weiterzuleben

Foto 28 Pflaumensorte Mirabelle

Foto 29 die gemeine Mispel (=Mespilus germanica, da von den Römern in Deutschland verbreitet), nicht zu verwechseln mit der sehr bekannten Mispel asiatischer Herkunft (Eriobotrya japonica) und links ein weiterer Pflaumenbaum mit sehr dickem Stamm
Das SECHSTE Feld, der OLIVENHAIN (Foto 30), verweist aufgrund seiner Widerstandsfähigkeit und der Fähigkeit zur “Wiedergeburt”, weswegen der Olivenbaum als ewig angesehen wird, auf eine allgemein religiöse Symbolik, nicht nur im christlichen Bereich. Der Olivenbaum, das christliche Friedenssymbol (Noah und die Versöhnung mit Gott) war kostbar wegen seines Öles, welches sowohl im sakralen und profanen Bereich für Lampen und Salbungen verwendet wurde und noch heute im kirchlichen Bereich für Salbungssakramente üblich ist. Wichtig in der Vergangenheit wie heute als Lebensmittel, ist es Grundlage vieler Küchen. In unserem Olivenhain stehen die zwölf Olivenbäume für die Apostel und der einzige etwas abseits stehende für Jesus.

Foto 30 Ausblick auf den Olivenhain; hinten links der kleine Longhena-Tempel
Das SIEBTE Feld, der WALD, besteht aus Bäumen, die mit der christlichen Tradition verbunden sind; so erinnert die Trauerweide z.B. an die Legende einer Weide, die ihre Zweige herabsenkt (und diese nie wieder emporheben wird), um dem gestürzten Jesus zu helfen (Foto 31). Die Tamariske hingegen steht im Zusammenhang mit dem Manna, welches die Israeliten in der Wüste ernährte (Foto 32), während der Cercis siliquastrum (=mit den langen Schoten), der auch Judasbaum genannt wird, der Legende nach mit dem Verrat Judas und vielleicht mit seinem Erhängen verbunden ist. Jesus befreite ihn von jeglicher möglichen Schuld und erlaubte ihm, sich im Frühling, noch vor der Blütezeit aller anderen Bäume, mit auffällig prächtigen Blüten zu schmücken.

Foto 31 die Trauerweide im Frühling

Foto 32 Tamariske
Im Garten existieren weitere interessante Bereiche, von denen bei anderer Gelegenheit erzählt werden wird, ein Hinweis jedoch auf die ROSENLAUBE, die zur Marienkapelle führt, sei erlaubt als Weiterführung des Waldthemas: seitlich von ihr liegt der dem LEIDEN Christi gewidmete Bereich (Foto 33), in dem der Baum der Dornenkrone nicht fehlen darf, der Christusdorn (Foto 34), als Fortsetzung und präzise Verbindung zu den in der Kirche behandelten Themen.

Foto 33 rote Rosen zur Erinnerung an Jesu Leiden

Foto 34 beim Christusdorn sind die sehr langen und spitzen Dornen gut erkennbar; er heißt nicht zufällig so, da der Legende nach die Dornen für die Dornenkrone Christi von ihm stammen
Der Pfad, der bis zum 19. Jahrhundert zentral lag, befand sich – nach den Veränderungen im 19. Jahrhundert – auf der linken Seite; von Anfang an, jedoch, wendeten die Mönche eine Variante gegenüber der venezianischen Tradition an, indem sie diesen nicht auf ein Casino, d.h. ein Teehäuschen oder eine Bibliothek hinführten, sondern auf die Marienkapelle mit ihrer von weißen Rosen bewachsenen Pergola davor (Foto 35 und 36).

Foto 35 Pergola mit der noch jungen Rosensorte Schneewittchen; die Pergola führt zum kleinen Tempel mit der Madonnengrotte

Foto 36 die Rosensorte Schneewittchen der Pergola
Der mystische Garten übt eine große Faszination selbst auf diejenigen aus, die gar nicht oder bisher noch nicht mystisch sind, und führt den Besucher zur Kontemplation der wunderbaren Natur hin, selbst in den kleinsten Erscheinungsarten dieser (Foto 37) und bietet– außer der Gelegenheit des Ausruhens, des Friedens für Augen und alle Sinnen – unendlich viele Anlässe zu meditativem Nachdenken.

Foto 37 Kapernblüten; der Kapernstrauch ist eine genügsame Pflanze, die uns ihre köstlichen geschlossenen Blütenknospen bietet wie auch elegante Blüten wie diese, oder Früchte, Kapernbeeren genannt, von einer längeren Form als die Knospen, die gleichermaßen essbar sind und gerne gekostet werden
loredana giacomini
BestVeniceGuides
loredanagiacomini@gmail.com