Die Pferde von San Marco: Kopien oder Kunstwerke?

Aug 26, 2020berühmte Gestalten, Bildhauerkunst, Geschichte, Kunst0 Kommentare

1982 nahmen auf der Terrasse des Markusdoms vier brandneue vergoldete Bronzepferde den Platz der seit Jahrhunderten dort stehenden Quadriga ein. Dem ging eine langwierige und komplizierte Arbeit voraus, da die antiken Statuen dringend ersetzt werden mussten.

Auch wenn die These nicht von allen bestätigt wird, gehen viele davon aus, dass die antiken Pferde bereits 1800 Jahre alt sind. In den frühen 1970er Jahren verursachte die hohe Luftverschmutzung große Schäden. Den Berechnungen nach wurde mit jedem heftigen Regen von dem dünnen Blattgold, mit dem das Kupfer überzogen war – denn korrekterweise muss zugegeben werden, dass es aufgrund des niedrigen Zinnanteils gar keine richtige Bronze war- 10 cm2 durch den sauren Regen weggewaschen.

St Mark’s Basilica, the ancient Quadriga, detail of the heads, Venice

Die Markusbasilika, die alte Quadriga, Detailansicht der Köpfe, Venedig

 

Die alte Quadriga zwischen Konstantinopel, Venedig, Paris und retour

Die vier vergoldeten Kupferpferde wurden 1204 bei der Plünderung Konstantinopels, der Hauptstadt des Oströmischen Reichs, nach Venedig gebracht, wo sie zum Symbol für die Stadt und ihrer Macht wurden. 1797 wurden sie dann von General Napoleon Bonaparte nach Paris verschleppt, wo sie auf dem Arc de Triomphe du Carrousel gegenüber dem Louvre standen. Dort blieben sie bis 1815 als Napoleon, mittlerweile Kaiser, schließlich alles verlor.

Das habsburgische Heer half Antonio Canova, dem italienischen “monument man” die Pferde, zusammen mit anderen Kriegsbeutestücken, wieder nach Venedig zurückzubringen, wobei es sogar bereit war auf die revoltierenden Pariser zu schießen, die die Pferde unbedingt in Paris behalten wollten. So landeten sie schließlich auf dem Balkon der Markusbasilika, wo sie bis 1977 blieben.

Die Kunstgießerei Battaglia di Milano

Die Firma, die mit dem Guss der Statuen beauftragt wurde war die Kunstgießerei Battaglia di Milano, die es auch heute noch gibt: https://www.fonderiabattaglia.com, und die seit 1913 eine der besten Italiens im Wachsausschmelzverfahren ist.

On the terrace of St Mark’s Basilica, Battaglia Fine Art Foundry in Milan, detail of the paw of one of the horses’ replicas, 1978, Venice

Auf der Terrasse von San Marco, Kunstgießerei Battaglia di Milano, Detailansicht eines Pferdehufs, 1978, Venedig

In der Gießerei wurden meine Fragen sehr bereitwillig beantwortet und mir sämtliche verfügbare Unterlagen ausgehändigt. Leider ist keiner der Arbeiter, der an der Fertigung der Kopien mitgewirkt hatten noch dort, um die Geschichte zu erzählen. Auch scheinen die Gießereien im allgemeinen nur selten Zeugnisse ihrer Werke in den Archiven aufzubewahren.

Wie die Arbeiter der Gießerei Battaglia die Kopie der Pferde des Markusdoms anfertigten

Auch wenn das Gespräch mit den Gießern nicht möglich war, scheint es doch eindeutig, dass es kein einfaches Unterfangen war. Wer eine gute Kopie anfertigen will, muss das Original durch und durch kennen. Wo waren die Köpfe und die Beine des Pferde also ursprünglich angebracht? Und die Hälse? Finden Sie die Unterschiede zwischen dem Mosaik nach 1265 auf der Fassade des Markusdoms und dem Gemälde von Gentile Bellini aus dem Jahr 1496 in der Galleria dell’Accademia:

Door of St Alipio, Façade of St Mark’s Basilica, ca. 1265, Mosaics’ detail, Venice

Tor des heiligen Alipius, Fassade des Markusdoms, ca. 1265, Mosaikdetail, Venedig

Door of St Alipio, Façade of St Mark’s Basilica, ca. 1265, Mosaics’ detail, Venice

Tor des heiligen Alipius, Fassade des Markusdoms, ca. 1265, Mosaikdetail, Venedig

Heutzutage sind die Techniken für Wachsausschmelzskulpturen wesentlich ausgefeilter und die Gießer können 3D-Scanner benutzen oder einen speziellen Silikonkleber, um Metallstatuen bis aufs kleinste Detail nachzubilden. In den 70ger Jahren hingegen unterschied sich die Technik nicht sehr von der der Künstler der vergangenen Jahrhunderte, wie z.B Benvenuto Cellini oder der Schöpfer der berühmten Bronzen von Riace.

Die Arbeiter der Kunstgießerei Battaglia gingen von einem Gipsmodell aus. Nachdem es keinen Gipsguss gab, mussten Fixpunkte des Originals bestimmt werden, um so eine Gipskopie anfertigen zu können. Erst wurde ein Käfig aus Draht und Eisenstreben gebaut, dann wurden Stroh- und Gipsschichten hinzugefügt. Mithilfe eines Pantografen wurden die Fixpunkte dann auf das Modell transferiert, womit man eine geometrisch originalgetreue Kopie erhielt. Mit einer speziellen flüssigen Gelatine (die heute durch Silikongummi ersetzt wurde) wurde ein Hohlmodell gebaut, dann wurde das Wachs gegossen, wobei darauf geachtet wurde, dass die Dicke des Wachses der der Bronze entsprach.

Details der Wachsausschmelzverfahren

Die einzelnen Arbeitsschritte sahen folgendermaßen aus:

Um ein Wachsmodell herzustellen, musste man erst ein Gipsmodell schaffen. Das wurde dann mit Lehm überzogen. Auf der Lehmschicht wurden dann zwei Gipsschalen angebracht. Danach wurde die Lehmschicht vorsichtig entfernt und die beiden Schalen wurden mit dem Modell im Inneren zusammengefügt. Zwischen die Schalen und das Modell wurde flüssige Gelatine gegossen, die den Raum der vorherigen Lehmschicht einnahm. Sobald die Gelatine hart wurde, wurde eine 5mm dicke rote Wachsschicht in die Form gefüllt.

Es hat Tage gedauert, bis man die Formen vorbereitet hatte und das Wachs geschmolzen war, um dann endlich die Bronze dorthin zu gießen, wo bis dahin das Wachs war. Genau wie beim Glockengießen, wurden auch die Formen der Markus-Pferde unter die Erde gelegt, um dem metallstatischen Druck der flüssigen Bronze standzuhalten.

One of the modern horses in bronze standing on the terrace of St Mark’s Basilica, Venice

Eins der modernen Pferde in Bronze auf der Terrasse des Markusdoms, Venedig.

Welche gefällt Ihnen besser? Die Kopien der vier Pferde oder die antiken Statuen?

Die Kopien unterscheiden sich leicht voneinander und stellen ein treues Abbild des ursprünglichen Originals dar. Die Kopien bestehen aus einer Kupfer-, Zink, -Zinn,- und Bleispuren-Legierung und wurden absichtlich nicht vergoldet wie die Originale.

Contrasting with the Bell Tower, one of the modern horses in bronze standing on the terrace of St Mark’s Basilica, Venice

Im Hintergrund der Glockenturm des Markusdoms; eins der modernen Pferde in Bronze auf der Terrasse des Markusdoms, Venedig.

Wie wunderschön! Vielleicht empfinden wir nicht genau das Gleiche beim Anblick der Kopien, im Vergleich zu den antiken Statuen. Vielleicht finden Sie die Kopien weniger raffiniert. Doch dürfen wir nicht vergessen, dass sie sich praktisch opfern, damit wir uns noch lange an den antiken Statuen erfreuen können. Im Endeffekt sind auch diese handgefertigt und zwar von italienischer Meisterhand, nicht nur hinsichtlich der Technologie, sondern auch mit Blick auf die künstlerische Sensibilität.

Luisella Romeo
BestVeniceGuides
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