Die Gefängnisse des Dogenpalastes in Venedig: Architekten, Entwürfe und Ausbrüche

Feb 19, 2023Architektur, berühmte Gestalten, Geschichte, Kultur, Kunst0 Kommentare

Die Gefängnisse des Dogenpalastes gehören zu den faszinierendsten Attraktionen dieses bedeutenden venezianischen Museums. Entgegen der vorherrschenden Meinung war der Dogenpalast nicht nur die Residenz des Dogen von Venedig, sondern beherbergte bis 1797 auch das Verwaltungs- und Justizzentrum eines ehemaligen Staates. Die Venezianer bezeichneten das Gebäude einfach als “Palazzo“, ohne den Dogen zu erwähnen.

Es ist bekannt, dass in dem Palast von Anfang an auch Gefängnisse untergebracht waren. Die mit den Gerichtssälen und den Büros der Justizbeamten verbundenen Kerker, die wir heute bei unserem Besuch sehen, sind Zellen aus dem 17. und 18.  Jahrhundert, von denen einige sogar noch bis vor hundert Jahren benutzt wurden.

Die Fassade der Neuen Gefängnisse an der Riva degli Schiavoni in Venedig, 18. Jahrhundert.

Löwenkopf, Detail der Fassade der Neuen Gefängnisse an der Riva degli Schiavoni in Venedig, 18. Jahrhundert.

Die „pozzi” (Brunnenkerker) und „ piombi“ (Bleikammern) des Dogenpalastes in Venedig, die Neuen Gefängnisse und wo sie sich befinden.

Einige Zellen befinden sich im Haupttrakt des Palastes, der auf den Rio della Canonica oder den Rio di Palazzo blickt. Bei diesen Zellen wurde zwischen den „pozzi“ im Erdgeschoss und im Zwischengeschoss und den „piombi“ unterschieden, da sie sich unter dem Bleidach befanden. Andere Zellen, die so genannten „Neuen Gefängnisse“, wurden auf der anderen Seite des Kanals gebaut und waren über die Seufzerbrücke und früher auch von der Riva degli Schiavoni aus zugänglich.

Vom 13. Jahrhundert an… die Geschichte der Gefängnisse des Dogenpalastes in kurzen Zügen

In Dokumenten aus dem späten 13. Jahrhundert werden die Zellen einzeln beim Namen genannt. Es gab die Zelle der Frauen, eine andere namens Vulkan, eine mit dem Namen Schiava (Sklavin),  Galeota, Fresca Zoia und viele andere. Überfüllt, unhygienisch und stockdunkel bis auf ein paar Öllämpchen: die Strafe war als Rache an denjenigen gedacht, die eines Verbrechens beschuldigt wurden.

Ein Beispiel für die in den Neuen Gefängnissen des Dogenpalastes in Venedig verwendeten Schlösser, 18. Jahrhundert

Die “Pozzi” (Brunnenkerker)

Als sich Krankheiten und Todesfälle immer mehr häuften, beschloss der Rat der Zehn und um 1540, neue Gefängnisse, die so genannten “pozzi“, zu bauen. Der wahrheitshalber muss gesagt werden, dass es in diesen Zellen bestimmt nicht an Grausamkeit mangelte. Das Gericht selbst nannte sie “ menschliche Grabstätten „. Auch entsprachen sie einem beachtlichem Maß an Effizienz. Wächter liefen ständig die Gänge um die Gefängniszellen herum ab, was eine Flucht praktisch aussichtslos machte.

Der Korridor für die Wachen der Prigioni Nuove des Dogenpalastes in Venedig, 18. Jahrhundert

Die „dunkle Zelle“ der neuen Gefängnisse des Dogenpalastes in Venedig, 18. Jahrhundert

Die “Piombi” (Bleikammern)

Im obersten Stockwerk, unter dem Bleidach, befanden sich die „piombi“, die etwas komfortableren Bleikammern. Im Winter war es natürlich kalt und im Sommer sehr heiß, aber im Vergleich zu den „pozzi“ hatten diese Zellen wenigstens Tageslicht und eine geringere Luftfeuchtigkeit. Die „piombi“ waren in der Tat prominenten Persönlichkeiten oder kleineren Verbrechen vorbehalten.

Die neuen Gefängnisse des Dogenpalastes in Venedig

Ende des 16. Jahrhunderts wurde auf der anderen Seite des Kanals ein neues Gefängnis errichtet. Eine bewundernswerte Konstruktion. Eine elegante Fassade aus istrischem Stein, sparsam verteilte, aber ausdrucksstarke dekorative Elemente (die Löwenköpfe sind wunderschön) und sehr dicke und schwere Metallgitter.

Fenstergitter einer Zelle in den Neuen Gefängnissen des Dogenpalastes in Venedig

Das neue Gebäude entspricht neuen Kriterien: humane Lebensbedingungen, d.h. Licht, Raum und Luft. Ein zentraler Innenhof sorgte für natürliches Licht. Eine Kapelle für Gottesdienste, einschließlich Hochzeiten und Taufen, oder ein Gebetsraum für zum Tode Verurteilte vor der Urteilsverkündung. Interessantes Detail: Es handelte sich dabei ausschliesslich um ein Gefängnis, isoliert und sicher und erfüllte sonst keine weitere Funktion.

Betten, Dielen und Holzwände des Neuen Gefängnisses im Dogenpalast in Venedig

 

Flucht aus den Kerkern des Dogenpalastes

Die „Piombi“ wurden durch die Flucht von Giacomo Casanova im Jahr 1756 berühmt. In seinen Memoiren widmet Casanova seinem Abenteuer ein berühmtes Kapitel. Die in französischer Sprache verfasste „Histoire de ma fuite des prisons de la République de Venise qu’on appelle les Plombs“ beschreibt sehr gut die Ereignisse während seiner Inhaftierung und seiner Flucht in der Nacht des 31. Oktober 1756. Vom Porträt des Wächters Lorenzo Basadonna über die psychischen Zustände eines Gefangenen, bis hin zu den waghalsigen Fluchtversuchen, wobei sich in der Erzählung stets Dichtung und Wahrheit mischen.

Der Fluchtplan bedeutete für Casanova, den Wächter zu bestechen, andere Gefangene mit einzubeziehen, Werkzeuge zu verstecken, um ein Loch in den Boden zu graben oder die Decke zu durchstoßen, in Gerichtssäle oder alten Archive einzudringen, die Goldene Treppe hinunterzueilen, Türen auszuhängen, eine Gondel zu nehmen… um schließlich zu schreiben: „Die staatlichen Inquisitoren  müssen alles in ihrer Macht Stehende tun, um den Straftäter im Gefängnis zu halten; der Straftäter seinerseits muss alles in seiner Macht Stehende tun, um seine Freiheit zu erlangen.“ Ich möchte nicht unhöflich gegenüber unserem Casanova sein, der sich so sehr mit seiner Flucht brüstete, aber wir müssen zugeben, dass Ausbrüche recht häufig vorkamen. Man konnte allein oder in einer Gruppe fliehen, sich innerhalb des Gefängnisses oder mit Hilfe von außen organisieren, Mauern einreißen, Tore einschlagen, ein Feuer legen, den Boden aufbrechen, die Decke einschlagen, auf ein Boot hoffen oder schwimmen, die Wachen angreifen und ihre Schlüssel stehlen, sie bestechen, damit sie im richtigen Moment unaufmerksam oder schläfrig sind. Selbst den Behörden war klar, dass Fluchten eine Selbstverständlichkeit sind.

Graffiti mit der Erwähnung zweier Gefangener, denen die Flucht aus dem Dogenpalast gelungen ist

 

Die Architekten der Kerker des Dogenpalastes in Venedig

Während die alten Gefängnisse, die „pozzi „und „piombi,“ wahrscheinlich von Maurern unter der Leitung des Rates der Zehn und der Staatsinquisitoren gebaut wurden, ist bei der Errichtung der Neuen Gefängnisse von Antonio da Ponte die Rede, der im Jahr 1591 den Auftrag erhielt. Da Ponte hatte bereits beim Wiederaufbau der beiden durch den Brand von 1577 zerstörten Flügel des Dogenpalastes, der Flügel des Maggior Consiglio und die Sala dello Scrutinio, großes Geschick bewiesen. In den Jahren 1588-1591 hatte er auch die Rialto-Brücke gebaut. Kurzum, eine guter Mann.

Der Torbogen des Neuen Gefängnisses in Kontinuität mit dem Torbogen des Dogenpalastes in Venedig

Doch das Projekt von Antonio da Ponte war nicht das einzige, das der Rat der Zehn in Erwägung zog. Ein anderes Projekt wurde für so gut befunden, dass die besten Ideen beider Projekte berücksichtigt werden sollten. Aber wer war dieser andere Architekt? Sein Name war Zaccaria Briani, und nein, er war kein Architekt, sondern ein Gefangener. Wegen Mordes angeklagt, hatte Briani bereits gut zweiundzwanzig Jahre in den Gefängnissen des Dogenpalastes verbracht.

Graffiti von Gefangenen in den Neuen Gefängnissen des Dogenpalastes in Venedig, 18. Jahrhundert

Graffiti von Gefangenen in den Neuen Gefängnissen des Dogenpalastes in Venedig, 18. Jahrhundert

 

“Schönheit, Komfort und Sicherheit“ waren die Kriterien, nach denen der Auftrag erteilt wurde. Als Gegenleistung für die Beratung wurde Briani für drei Jahre auf freien Fuß gesetzt, mit der einzigen Verpflichtung, weiterhin bereit zu stehen, um „von seiner Person und seinen Erinnerungen bei dieser wichtigen und notwendigen Arbeit Gebrauch zu machen“.

Fast könnte man sagen, dass der Bau eines schönen, komfortablen und sicheren Gefängnisses einem die Freiheit bescheren kann.

 

 

Luisella Romeo
BestVeniceGuides
www.seevenice.it

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